„Taktisches Risiko geht nach hinten los – Portugal bestraft Deutschland im Nations-League-Halbfinale
Julian Nagelsmann ging ein Risiko ein und stellte auf ein ungewohntes 3-4-2-1-System um , in der Hoffnung, das Beste aus dem verfügbaren Personal herauszuholen. Überraschenderweise war die erste Halbzeit ausgeglichen. Deutschland zeigte etwas mehr Offensivdrang, aber beide Mannschaften litten unter demselben Problem: mangelnde Chancenverwertung. Florian Wirtz tat sich schwer, wurde ständig von roten Trikots bedrängt, und auch die portugiesische Offensive blieb trotz ihrer Qualität in der ersten Hälfte wirkungslos.
Dann kam die zweite Halbzeit , und mit ihr das Chaos. Nur wenige Minuten nach Wiederanpfiff setzte sich Nick Woltemade stark gegen mehrere Verteidiger durch, legte auf Joshua Kimmich ab, der Florian Wirtz punktgenau bediente. Mit einer feinen Direktabnahme brachte Wirtz den Ball im Netz unter. Für einen Moment schien es, als könnte Deutschland die Partie für sich entscheiden , doch das war eine Illusion.
Portugal reagierte blitzschnell und drehte das Spiel vollständig. Nagelsmanns Wechsel zeigten kaum Wirkung. Die Einwechslungen von Robin Gosens und Niclas Füllkrug verpufften, und Serge Gnabry für Leroy Sané schwächte das Offensivspiel eher noch weiter. Auf der anderen Seite traf Portugal die richtigen Entscheidungen: Francisco Conceição erzielte ein Traumtor nach einem Sololauf , das wohl schönste Tor des Spiels –, und Cristiano Ronaldo erhöhte nur wenige Minuten später nach einem mustergültigen Teamangriff, eingeleitet von Nuno Mendes.
Auch die späten Einwechslungen von Karim Adeyemi und Felix Nmecha brachten keine Wende. Deutschland fehlte es schlicht an Durchschlagskraft , und an Antworten.
Trotz allem gab es Lichtblicke. Robin Koch zeigte eine überragende Leistung in der Abwehr und war einer der wenigen Konstanten im deutschen Spiel. Und dann waren da noch drei Namen, die ein Comeback andeuteten: Joshua Kimmich, Leon Goretzka und Marc-André ter Stegen.
Kimmich blühte auf der rechten Außenbahn regelrecht auf, lief viel, ordnete das Spiel und bügelte Fehler seiner Nebenleute aus. Goretzka präsentierte sich ruhig, stabil und verlässlich , wie schon gegen Italien. Die größte Überraschung des Abends war jedoch Marc-André ter Stegen. Zwar ist er kein moderner „Sweeper Keeper“ und fußballerisch limitiert, aber seine Reflexe sind außergewöhnlich. Eine spektakuläre Doppelparade gegen Ronaldo in der Schlussphase zeigte, dass er noch längst nicht abgeschrieben ist , trotz jahrelanger Pause im Nationaltrikot.
Doch ein Spiel Deutschland gegen Portugal wäre nicht komplett ohne Kontroverse. Portugiesische Zeitspiel-Tricks waren wieder deutlich zu erkennen ,und die Schiedsrichter griffen kaum ein. Für Fans von Deutschland oder dem FC Bayern ist schwache Schiedsrichterleistung kein neues Gefühl. Doch was man gestern sah, war besonders frustrierend ,und hatte wohl auch Einfluss auf den Spielverlauf.
Die größte Sorge bleibt jedoch bestehen: der deutsche Sturm. Nick Woltemade erlebte einen bitteren Abend. Kaum eingebunden, unglücklich im Stellungsspiel , außer dem Pass vor dem Wirtz-Tor gelang ihm wenig. Auch Wirtz selbst blieb blass. Adeyemis Einwechslung brachte nicht den erhofften Schwung, und selbst erfahrene Spieler wie Sané und Füllkrug enttäuschten erneut.
Mit Blick auf die EM 2024 drängen sich mehr Fragen als Antworten auf. Es fehlt an Tempo, Biss und Präzision im letzten Drittel. Wenn dieses Spiel eines gezeigt hat, dann, dass Deutschlands Probleme nicht nur an verletzten Spielern liegen – und dass Nagelsmanns Lösungsweg noch weit entfernt ist.
